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Ein Raum zum Wüten

Ein Raum zum Wüten

Im 21. Bezirk in Wien gibt es einen „Rage Room“ oder Wutraum. Dort kann man sich einmieten und eine Dreiviertelstunde lang nach Lust und Laune seine Wut an Geschirr oder Elektrogeräten auslassen.

„Versagensangst & Überforderung“ steht auf einem Teller, der neben zahlreichen unbeschrifteten anderen in einem menschhohen Regal steht. Alle Fächer des Regals sind prall gefüllt mit Gegenständen, die kaputt gemacht werden dürfen. Darunter Geschirr und Tassen, ein Toaster, Filterkaffeemaschinen, PC-Monitore und Drucker

„Vor allem der Drucker ist bei allen Leuten ein sehr verhasster Gegenstand“, erklärt mir Orlando lachend. Er weist im „Destruction MAXX“ – einem von zwei sogenannten Wuträumen in Wien – die Besucherinnen und Besucher ein. Woher die zu zerstörenden Gegenstände kommen, sei „Betriebsgeheimnis“, jedoch versichert mir Orlando, dass alles Zerstörte wieder fachgerecht entsorgt wird. Besucher*innen können auch eigene Gegenstände zum Zerstören mitbringen.

Aber was hat es mit dem beschrifteten Teller auf sich? „Mit dem Edding kann man Dinge, die einen belasten, auf die Gegenstände schreiben“ und im Wutraum dann symbolisch zerstören oder zumindest zurücklassen.

Der Wutraum hier in einer ehemaligen Lagerhalle im 21. Wiener Gemeindebezirk erinnert ein wenig an einen Squash-Court, ist jedoch etwas kleiner. In der Mitte des Raums steht eine Art Werkbank, auf der zerstört werden darf. An einer Wand gegenüber hängt eine große quadratische Sperrholzplatte als Zielscheibe. Hier darf man Dinge dagegen schmeißen.

Im Wutraum: Werkzeug, Schutzanzug, zerstörte Geräte
Schutzausrüstung ist Pflicht im Wutraum

Einfach drauf los hauen geht freilich nicht. Zuerst bekommt man eine Einweisung und muss ein Formular mit einigen Regeln und Sicherheitshinweisen unterschreiben. Umfangreiche Schutzkleidung am ganzen Körper ist Pflicht. Dazu gehören ein Staubanzug, Kevlar-Armstulpen, Handschuhe, ein Brustschutz, eine Halskrause, Gehörschutz und Splitterschutz fürs Gesicht. Am Ende sieht man aus wie ein Robocop.

Zusätzlich zu den Sicherheitsvorkehrungen gibt es eine Regel, die den Betreibern wichtig ist: „Keine Fotos, Puppen, Abbildungen realer Personen in den Raum mitnehmen“, betont Orlando. Die Wut soll nur an Gegenständen ausgelassen werden. Ein Foto von der Ex auf eine Tasse zu kleben, wäre zum Beispiel verboten. „Wenn jemand so etwas macht, dann wird er vor die Tür gesetzt – das ist ganz klar“, sagt Orlando. Vorgekommen sei das aber noch nie.

Der Selbstversuch

Ich bin mit den Regeln vertraut, nüchtern und habe keine Bilder von Ex-Partnerinnen dabei. Dann kann es ja losgehen! Als erstes nehme ich mir eine Handvoll Teller aus dem Regal und stelle sie auf die „Werkbank“. Meine erste Zerstörungswaffe ist ein federleichter Alu-Baseballschläger, der schon deutliche Abnutzungserscheinungen hat.

Weltweites Phänomen

Die Idee von „Rage Rooms“ ist vor gut zehn Jahren, vermutlich in Japan entstanden. Seither hat sich das Konzept der Wuträume weltweit verbreitet.

In Wien gibt es neben DestructionMAXX auch den Anbieter Happy Shards, bei dem man „nur“ Keramik und Glas zerstören kann.

Teller Nummer eins wird zerschlagen und dutzende kleine Scherben fliegen in alle Richtungen. Ein Glück, dass ich die Schutzkleidung anhabe. Ein weiterer Teller muss daran glauben, wird auf der Werkbank platziert und in Richtung Zielscheibe geschossen.

Mein erster Eindruck: Eigentlich hatte ich erwartet, dass die Hemmschwelle, Dinge zu zerschlagen, größer wäre. Doch die Schutzkleidung nimmt einem schon ein ganzes Stück Angst weg. Abgeschwächt wird die Erfahrung der Zerstörung aber vor allem durch den Gehörschutz: Die Geräuschkulisse wird dermaßen gedämpft, dass das Zerschlagen der Dinge einfach nicht so intensiv wahrgenommen wird, wie das ohne Gehörschutz der Fall wäre.

Also fahre ich größere Geschütze auf und nehme mir das schwere Brecheisen aus dem Wutwaffenarsenal und hole einen alten PC-Monitor aus dem Regal. Ab auf die Werkbank damit. Dabei denke ich kurz an den langsamen Computer, der mich in der Arbeit schon so viele Nerven gekostet hat.

Rrrrumms! Die volle Wucht des Brecheisens trifft das unschuldige, ausgemusterte Anzeigegerät.

Stellvertretend für seine Computer-Kameraden muss das Gerät hier im Wutraum meinen Zorn erleiden und sein Leben lassen. Mitleid? Fehlanzeige. Mit dem Vorschlaghammer gebe ich dem Monitor den Rest.

Lukas zerschlägt Tassen im "Wutraum"

Stemmeisen und Vorschlaghammer hatten mit ihrem Gewicht deutlich mehr Zerstörungskraft als der Baseballschläger. Die Holzplatte des Tisches ist nach einigen Schlägen teilweise durchgebrochen. Bei diesem Durchgang war das Zerstörungs-Feeling realer als bei den Tellern.

Es macht Spaß, einmal Dinge zu zerschlagen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Ich spüre das Adrenalin in mir, nachher fühle ich mich erleichtert, aber vor allem: erschöpft. Denn in der Schutzkleidung wird einem ganz schön warm und das Herumwüten ist anstrengender, als man vermutet.

Kein Therapieersatz

Natürlich frage ich mich, wie sehr so ein Wutraum taugt, um aufgestaute Aggressionen loszuwerden oder Dampf abzulassen. Darüber spreche ich mit der Psychologin Christina Beran. Sie möchte gleich mit dem Bild des Menschen als „Druckkochtopf“ aufräumen: „Dass Emotionen hochkochen und dann verschwinden, wenn man möglichst oft auf etwas draufhaut, da haben wir Studien, dass das eher kontraproduktiv ist.“

Trotzdem kann die Psychologin dem Wutraum etwas abgewinnen: Einerseits könne ein Besuch im Wutraum für Aktivierung sorgen, was besonders für zurückhaltende Menschen eine gute Erfahrung sein kann. Und: „Es hat eine sehr bewusste Komponente, das gefällt mir immer“, so die Psychologin. Wer sich für einen Wutraum interessiert, setze sich vorher damit auseinander, dass man Wut oder Frustration kanalisieren könne. Wenn man dann symbolisch, fast ritualisiert damit umgehe, damit sei die Psychologin durchaus einverstanden.

Teller zum Zerdeppern

Selbstverständlich ist ein Besuch im Wutraum kein Ersatz für psychologische Hilfeleistungen oder Therapie. Den Kontext unterscheiden zu können, sei wichtig: „Ich sehe es vorrangig als Entertainment und Fun-Faktor und ich traue den Besuchern und Betreibern auch zu, dass sie das wissen“, sagt Christina Beran. Einen Wutraumbesuch auf Krankenschein kann man sich bis auf Weiteres wohl nicht erwarten.

Zwischen 39 und 89 Euro kostet die Dreiviertelstunde im Wutraum. Wer ganz bewusst und kontrolliert Ärger loswerden will oder einfach ungewöhnlichen Spaß haben möchte, wird hier nicht enttäuscht. Bestenfalls findet man auch ein bisschen mehr über sich selbst heraus.


Veröffentlicht am 19. März 2019 auf fm4.ORF.at, in FM4 Connected und der FM4 Morning Show