journalismus, kommunikation & mediengestaltung

Würmlas Wände: Street Art auf dem Land

Würmlas Wände: Street Art auf dem Land

Street Art findet man üblicherweise eher in Städten und nicht unbedingt in Tausend-Seelen-Gemeinden. Doch im durchaus ländlichen Würmla (NÖ) gibt es Kunst im urbanen Stil auf Silos, Stadln und Kellern zu bewundern.

Radiobeitrag zu „Würmlas Wände“, gesendet am 23. Juli 2020 auf Radio FM4

Die Künstlerin Katharina Christine Herzog führt mich auf einen Schweinemastbetrieb in Pöding, einem Ortsteil von Würmla in Niederösterreich. Wir gehen vorbei an den Ställen und die neugierigen Schweine grunzen uns zu. Im Innenhof des Gebäudes erwartet uns Viktoria Eichinger. Sie ist Landwirtin und eine alte Kindheitsfreundin von Katharina.

Auf dem Hof von Viktoria Eichinger

Die 30-jährige Viktoria hat in Wien studiert, ist aber nach Würmla zurückgekehrt und hat inzwischen den elterlichen Betrieb übernommen. Und sie hat Katharina und ihrem Studienkollegen David Leitner für Würmlas Wände drei Silos als Malfläche zur Verfügung gestellt. Es ist das Studienabschlussprojekt von Katharina und David, zwei Absolvent*innen der Universität für Angewandte Kunst in Wien, mit dem sie die etwas verschlafene Gemeinde um 13 Wandmalereien im Urban-Street-Art-Stil bereichert haben.

Würmlas Geschichten auf Würmlas Wänden

„Aber wir haben da nicht irgendwas hinaufgezeichnet“, erklärt Katharina. „Wir sind zu den Wandbesitzern nach Hause gefahren, haben sie gefragt, ob sie mitmachen wollen und was sie für Geschichten zu erzählen haben. Diese Geschichten haben wir dann verbildlicht.“

Viktoria und Katharina vor den Silos

Auch auf Viktorias Hof erzählen jetzt drei Futtersilos eine Geschichte. Darauf zu sehen: Eine säende Hand, eine sprießende Maispflanze und eine Aphrodite, die griechische Göttin der Schönheit und Fruchtbarkeit. Denn: „Frauen haben schon immer eine wichtige Rolle auf dem Hof der Familie Eichinger gespielt“, erklärt die Künstlerin. „Es waren immer die Frauen schon hier und die Männer sind auf den Hof gezogen. Und so ist es jetzt wieder: Viki ist zurück nach Würmla gezogen und ihr Freund aus Steyr zieht her.“

Haare auf Aphrodites Beinen – „Weil’s wurscht sein sollt.“

Die Aphrodite auf dem Silo hält eine Mistgabel als Symbol für die Landwirtschaft in der einen, und einen Wurm wegen „Würmla“, und auch wegen seiner Bedeutung für die Landwirtschaft in der anderen Hand. Zudem hat die Göttin etwa behaarte Beine und trägt eine Halskette mit dem Venus-Symbol – Sinnbilder für Feminismus und die Generationen starker Frauen auf dem Eichinger-Hof.

Berührungspunkte zwischen Stadt und Land

Landwirtin Viktoria war es wichtig, bei dem Projekt mitzumachen: „Weil mir als Rückkehrerin aufs Land verdeutlicht wurde, wie wichtig es eigentlich ist, dass es Berührungspunkte zwischen Stadt und Land gibt.“ Denn genau das sei das Ziel von „Würmlas Wände“, sagt Katharina: „Mir ist ganz wichtig, dass bei dem Projekt Austausch zwischen Stadt und Land stattfinden kann, dass Begegnungsflächen entstehen und Stereotype beiseite geräumt werden.“

Weiter geht’s zum Hof von Katharinas Eltern. In der Nähe stehen drei Mostkeller, zwei davon sind verfallen und haben David und Katharina als Leinwand gedient. Der linke Keller gehört Familie Novak, Nachbarn von Katharinas Familie. Zu sehen ist ein Samowar – ein russischer Teekocher – auf einem Tisch. Daneben stehen Mostgläser, Kekse und Zuckerln liegen lose verstreut um den Samowar.

Ein verfallener Mostkeller als Leinwand

Die Geschichte dahinter: Der Urgroßvater des heutigen Besitzers war einst nach dem Zweiten Weltkrieg als Kriegsgefangener aus Russland heimgekehrt und hatte auf dem schweren Heimweg sehr viel Gastfreundschaft erlebt. „Bei uns werden keine Türen mehr zugesperrt“, soll der Urgroßvater nach diesen Erfahrungen gesagt haben. Bis heute ist Familie Novak im Dorf für ihre Gastfreundschaft und ihre stets offenen Türen bekannt.

Familie Herzog vor ihrem persönlichen Kunstwerk

Der andere Keller gehört Familie Herzog – also Katharinas Familie. Das Motiv darauf: Eine Tomatenpflanze, auf der auch Himbeeren, Ribisel und Kirschen wachsen. „Das gibt’s normalerweise nicht“, sagt Vroni Herzog, Katharinas Mutter über die fantastische Pflanze. „Bei unserer Familie ist das eben auch so: Die Kinder sind anders geworden, als man sich das als Elternteil am Land vielleicht vorstellen würde. Aber sie sind alle besonders.“ „Wie eine veredelte Pflanze?“, frage ich und spiele auf das Motiv an. „Genau. So kann man es auch sehen“, antwortet Frau Herzog.

30 Geschichten auf 13 Wänden

„Würmlas Wände“ sind von April bis Dezember 2019 entstanden. 700 Quadratmeter Fassaden, Wände und Silos wurden damals mit 100 Liter Farbe und 80 Sprühdosen verschönert. Dreißig Dorfbewohner*innen wurden interviewt und in 13 Motiven ihre Geschichten wiedergegeben. Ein rund 20 Kilometer langer Rundwanderweg führt an allen urbanen Wandgemälden vorbei.

Der „Wände-Wanderweg“

Wie es mit dem Projekt weitergeht, weiß Katharina noch nicht genau. Vielleicht wird es weitere Wandgemälde geben. Vielleicht auch in anderen Dörfern. Sie hofft jedenfalls, dass ihre Idee Stadt und Land ein Stückweit näher zusammenbringen kann. Was fix ist: Demnächst wird ein Buch über das Projekt veröffentlicht, mit den Interviews und Fotos der entstandenen Kunstwerke. Außerdem gibt es eine kurze Doku über das Projekt, die am 7. August 2020 beim frameout im Wiener Museumsquartier zu sehen sein wird.


Erschienen am 22. Juli 2020 auf fm4.ORF.at,
am 23. Juli 2020 als Radiobeitrag in FM4 Connected und der FM4 Morning Show,
und als Video auf der FM4-Facebook-Seite.

Das eingebettete Video wurde mit einem Samsung A50 Smartphone gedreht.