Bioökonomie befasst sich mit der Frage, wie Wirtschaft ganzheitlich umweltbewusst gestaltet werden kann. Ein häufiges Problem: Abfallprodukte werden viel zu oft nicht weiter verwendet. Bioökonomie-Unternehmer wie Gunter Pauli versuchen, diese durchbrochenen Kreisläufe zu schließen.
Zwei Beispiele, die er bei den Technologiegesprächen des Forum Alpbach präsentiert hat: Humus, der aus Babywindeln gewonnen wird, und Kunststoffe, die aus Unkraut hergestellt werden.
Die Bioökonomie beschäftigt sich nicht nur damit, fossile oder nicht-nachwachsende Rohstoffe zu ersetzen, sondern einen geschlossenen Wirtschaftskreislauf zu schaffen – vom Rohstoff über das verarbeitete Produkt, bis hin zum Abfallprodukt, das verwertet wird und wiederum den Rohstoffnachwuchs sichern soll.
„Bioökonomie ist die Erzeugung und Nutzung biologischen Wissens für Produkte, Verfahren und Dienstleistungen in allen wirtschaftlichen Sektoren“, erklärt Joachim von Braun, Leiter des Bioökonomierats in Deutschland, das Konzept. Das Ziel sei eine „Biologisierung der Volkswirtschaft“, so der Wissenschaftler. Für eine bald erreichte „Weltbevölkerung von neun Milliarden, die isst wie zwölf Milliarden“, brauche es die Bioökonomie als Lösung, mahnt er weiter.
Zahlreiche Staaten haben bereits Bioökonomie-Strategien entworfen und verfolgen diese. Österreich arbeitet gerade an einer eigenen Charta.
Geld durch volle Windeln
Unter den Vortragenden war auch Gunter Pauli, ein Unternehmer, der seine „grüne Karriere“ mit der Übernahme einer Öko-Waschmittelfabrik in den 90ern begonnen hat, am Kyoto-Protokoll mitgearbeitet hat und Begründer der Blue Economy ist. Pauli lässt immer wieder mit – teils skurrilen – bioökonomischen Innovationen von sich hören. Oft sind es Projekte, bei denen aus fast kostenlosen Rohstoffen oder Abfällen Produkte erzeugt werden. Er betreut und unterstützt zahlreiche Unternehmen und Start-Ups, die bioökonomisch arbeiten.
Darunter befindet sich zum Beispiel auch ein Berliner Start-Up, das den Inhalt von Babywindeln zu Geld machen möchte. Genauer gesagt, zu Terra preta. Dieser Rohstoff ist essenziell für die Bildung von wertvollem Humus. „Berlin hat keine Mülldeponien mehr“, sagt Pauli. Und besonders Windeln würden einen nicht unbedeutenden Teil des Mülls in Berlin ausmachen. Durch die reguläre Entsorgung über den Hausmüll werde jedoch der Material- und Nährstoffkreislauf unterbrochen.
Auf dem aus Kinderkot gewonnenen Humus könnten wiederum Obstbäume gepflanzt werden. Das Obst kann gegessen, zu Babynahrung oder Saft hergestellt werden, und man hätte einen geschlossenen Kreislauf, erklärt das Start-Up auf seiner Webseite. Pro Monat könne ein Kind dazu beitragen, 33 Liter wertvolle Humuserde zu erzeugen, der verkauft werden kann. Das eigene Kind wird also quasi zum Goldesel.
Polymere aus Unkraut, Papier aus Stein
„Sie haben die Petrochemie in Italien fast vernichtet“, wirft ein Forumsbesucher bei den Technologiegesprächen in Alpbach dem Unternehmer vor. Pauli hat in Italien sechs Erdölraffinerien aufgekauft, die alle in Bio-Raffinerien umgewandelt werden sollen. Statt Erdöl sollen nur nachwachsende Rohstoffe verarbeitet werden. Er widerspricht dem Vorwurf des Besuchers, denn er arbeite mit einem italienischen Erdölunternehmen zusammen. Eine der erworbenen Raffinerien liegt auf Sardinien und ist seit einem Jahr wieder in Betrieb – nun aber „bio“.
Paulis Priorität bei der Produktion ist es, mit lokalen Rohstoffen zu arbeiten. Auf Sardinien bedient er sich eines Unkrauts: der Distel. In der Raffinerie werden nun aus den Disteln Bio-Polymere für die Kunststoffproduktion hergestellt. Die Distelabfälle werden als Tiernahrung genutzt und dabei anfallende Enzyme für die Schafskäseproduktion verwendet.
„Früher brauchte man zwei Millionen Tonnen Petroleum um 700.000 Tonnen chemische Produkte herzustellen. Wir verwenden 360.000 Tonnen Disteln und bekommen 358.000 Tonnen an Produkten“, rechnet Pauli vor. Der einzige Verlust werde beim Wasser gemacht, das aus den Pflanzen verdampfe.
Immer mehr Wasser verliere auch China, weshalb der Öko-Unternehmer dort auf den Plan gerufen wurde. In den vergangenen Jahren baute er in auf Taiwan und in Festlandchina zwei Fabriken, die aus Bergbauabfällen Papier herstellen. „Die Produktion kommt ohne einen Tropfen Wasser aus“, behauptet Pauli. Ein weiterer Vorteil des Steinpapiers: Es sei ewig recyclebar.
„Bürokratie verhindert Innovation“
Gunter Pauli betont besonders häufig die ethischen Ansprüche seiner Projekte. Er sieht aber keinen Widerspruch darin, in autokratisch regierten Ländern Projekte umzusetzen. Meist bringe er seine Projekte dort schneller auf den Weg als in Demokratien. Er sehe Krisen – wie den Wassermangel in China – als Chance und nutze sie eben. Unethisch sei in seinen Augen nicht, in China Fabriken zu bauen, sondern „der dortige Wassermangel. Daher müssen wir eingreifen. In Europa braucht man eben mehr Zeit dafür.“
„Nur drei meiner rund 200 Projekte sind in Europa angesiedelt“, moniert Pauli und fügt hinzu, dass in Europa jedes vorgeschlagene Projekt erst bürokratische Instanzen durchlaufen müsse. „In China haben sie kein Wasser. Ich baue die Papierfabrik, die ohne Wasser produziert. In Europa macht man erst eine Machbarkeitsstudie“, stichelt der Unternehmer.
Zu strikte Normierungen sind für Pauli Innovationbremsen. Es brauche „Entscheidungen von Visionären.“ Daher hofft Pauli, „dass Europa schon bald wieder visionäre Politiker hat“, um nachhaltiges Wirtschaften schneller voranzutreiben. Er bezeichnet sich selbst als „Che Guevara mit Krawatte“, der das System grundlegend und nachhaltig ändern möchte. Im Gegensatz zum kubanischen Revolutionär sei er jedoch ein Optimist, denn er glaube an Veränderung. „Meine Waffen sind Unternehmen.“
Erschienen am 31. August 2015 auf science.ORF.at