Juden mit Schmiss
In ihrer Blütezeit Mitte des 19. Jahrhunderts waren Burschenschaften progressive Kräfte, die Demokratie und Freiheiten forderten. Auch Juden waren Mitglieder. Doch nach 1848 machte sich der Antisemitismus breit.
Es war 2012, als die französische Front-National-Anführerin Marine Le Pen den damals noch WKR-Ball genannten Burschenschafterball in der Wiener Hofburg besuchte. Gastgeber Heinz-Christian Strache wollte damit offenbar die Internationalität der national gesinnten Parteien in Europa unterstreichen. Der Ball fand in jenem Jahr am internationalen Holocaust-Gedenktag statt. Die Veranstalter hielten trotz heftiger Proteste am Datum fest.
Der französische Journalist Dominique Sopo bezeichnete die Veranstaltung darauf in einem Artikel als „antisemitischen Ball“ von „Nostalgikern des dritten Reichs“. Marine Le Pen klagte ihn, Sopo gewann. Die Bezeichnung sei „legitim“, urteilte das Gericht.
Seitdem Burschenschaften existieren, wird ihnen Antisemitismus attestiert. Ein Blick in die Vergangenheit der Burschenschaften zeigt, dass das nicht immer so war. Die Phase, in der Juden einen Platz in Burschenschaften hatten, war allerdings sehr kurz.
Die optimistischen Jahre
Im 19. Jahrhundert bildeten sich im gesamten deutschen Sprachraum Studentenverbindungen, Corps, Burschenschaften. Es war die Blütezeit dieser Studentenvereinigungen. Einige hatten für die damalige Zeit durchaus progressive Forderungen: Pressefreiheit, Gleichheit vor dem Gesetz oder Forderungen nach Demokratie. Diese Forderungen fanden auch relativ großen Zuspruch bei Juden, die seit dem Toleranzpatent (1782) von Joseph II. in der Habsburgermonarchie studieren durften. Viele jüdische Studenten hatten eine deutsch-freiheitliche bis deutschnationale Gesinnung. In einigen Verbindungen mit liberalerer Ausrichtung fanden sie eine Heimat.
Der Optimismus hielt eine Weile an, und besonders im Vormärz bekamen Burschenschaften vermehrt Zulauf von jüdischen Studenten, was zu diesem Zeitpunkt auch weitgehend toleriert wurde. Vordergründig ging es in dieser Zeit um die Umsetzung liberaler Forderungen.
Die Situation kippte einige Jahre nach der gescheiterten bürgerlichen Revolution von 1848. Damals wurde der immer noch latent vorhandene Antisemitismus durch verschiedene Faktoren heftig befeuert. Unter der Oberfläche schwelte die Glut des Antisemitismus schon deutlich länger, wie Rechtsextremismus-Experte Bernhard Weidinger erklärt. „Der Antisemitismus war den Burschenschaften schon in die Wiege gelegt, durch die ideologischen Gründerväter Ernst Moritz Arndt, Jakob Friedrich Fries, Friedrich Ludwig Jahn.“
Auch die gesellschaftlichen Umstände in den 1880er-Jahren heizten das antisemitische Klima an: „Krisenerscheinungen, zunehmender Konkurrenzdruck in den akademischen Berufen in Verbindungen mit einem steigenden Anteil jüdischer Studenten“, zählt Bernhard Weidinger auf. „All das führt dazu, dass es um 1880 zu den ersten Ausschlüssen von Juden aus Burschenschaften kommt“. In weiterer Folge diskutieren und beschließen auch mehrere Verbindungen „Arierparagrafen“ – sprich: nur noch jene, die in den Augen der Burschenschaften als „deutsch“ angesehen wurden, werden aufgenommen.
Der Antisemitismus wurde zu dieser Zeit immer salonfähiger: Beleidigende Karikaturen, Beschimpfungen und gewalttätige Übergriffe waren keine Seltenheit. Trotzdem waren immer noch viele Juden Korporierte. Auch Theodor Herzl, der Begründer des Zionismus. Sein Verbindungsname war ‚Tancred‚ – ein germanischer Name. Er trat schließlich 1883 aus seiner Burschenschaft „Albia“ aus. Der Grund dafür war ein verhängnisvolles Burschenschafter-Treffen in den Sofiensälen.
„Dort gab es einen Trauer-Kommers für Richard Wagner“, erzählt Werner Hanak-Lettner, Kurator im Jüdischen Museum Wien. In der dortigen Ausstellung Die Universität: Eine Kampfzone wird auch die Rolle von Juden in Burschenschaften beleuchtet. „Dieses Zusammentreffen von rund 4.000 Studenten richtete sich einerseits gegen das Haus Habsburg, andererseits mutierte es zu einer antisemitischen Veranstaltung.“ Die Burschenschaft, in der der Zionismusbegründer Herzl Mitglied war, nimmt daran teil. In einem Brief an die „Albia“ macht Herzl seinem Ärger darüber Luft, und gibt bekannt, aus dem Männerbund auszutreten.
Jüdische Studenten begannen schließlich eigene Verbindungen zu gründen, die zum Zweck der Selbstverteidigung auch teilweise schlagend waren. Sie wurden später unter anderem Hort für die Anhänger von Theodor Herzls Ideen.
Auch mit nicht-jüdischen Korporierten wurden Mensuren gefochten. Vielen deutschnationalen Verbindungen war das ein Dorn im Auge. Nicht nur, weil die Juden in den Mensuren nicht minder erfolgreich waren, sondern auch, weil sie damit bewiesen hatten, dass Juden eben nicht „feig“ seien, was ein gängiges Klischee der Antisemiten war. Vonseiten einiger deutschnationaler Verbindungen folgten 1896 die so genannten Waidhofener Beschlüsse, in denen man den Juden die Satisfaktionsfähigkeit absprach und fortan keine Duelle mit ihnen mehr bestritt.
Die Krux mit der Distanzierung
Die antisemitische Gewalt gegen jüdische Studierende und Professoren gipfelte in der Zwischenkriegszeit, als nicht nur Deutschnationale, sondern auch Christlich-Soziale und Nationalsozialisten Cliquen bildeten, die systematisch linke und jüdische Studierende terrorisierten. Besonders am anatomischen Institut in Wien, soll es zu massiver Gewalt gegen jüdische Studierende gekommen sein.
Viele deutschnationale Burschenschafter avancierten so zu Pionieren des Antisemitismus an den Universitäten. „Die Kombination aus unbedingtem Anschlusswunsch und Antisemitismus führt sie dann auch relativ geschlossen in die Reihen des Nationalsozialismus“, so Weidinger. Der „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland im Jahr 1938 besiegelt das Ende der jüdischen Verbindungen in Wien. Auch die deutschnationalen Verbindungen wurden in der Nazizeit aufgelöst.
Nach dem Krieg gründen sich allerlei Verbindungen und Burschenschaften neu. Jüdische finden sich nicht mehr darunter. Dafür findet man in den Reihen der Burschenschaftler zahlreiche ehemalige Nazis, die dem Gedankengut nicht abgeschworen haben. Auch in Deutschland gibt es nach 1945 Neugründungen von Verbindungen aller Art. Doch die ideologische Bandbreite scheint dort bis heute deutlich breiter und vor allem: insgesamt weniger radikal.
An den österreichischen Burschenschaften haftet hingegen bis heute der Ruf, rechtsextrem, rassistisch oder antisemitisch zu sein. Einige Burschenschaften scheinen sich immer noch schwer zu tun oder sogar zu sträuben, Vergangenheitsbewältigung oder Distanzierung von rechtsextremistischem und rassistischem Gedankengut zu betreiben.
„Es ist bis heute so, dass die Burschenschafter in Österreich den Eindruck vermitteln wollen, sie wären die besseren Deutschen“, kritisiert Weidinger die radikale Haltung der österreichischen Burschenschafter. Unter anderem soll die extreme Gesinnung der Österreicher im Dachverband Deutsche Burschenschaft Grund dafür gewesen sein, dass im Verlauf der letzten Jahre zahlreiche Burschenschaften aus Deutschland den Dachverband verlassen haben. Die DB wird seitdem von einigen Seiten als Sammelbecken für radikale Verbindungen angesehen.
Dass diese radikale Haltung Jahr für Jahr mit einem Ball in der Wiener Hofburg gefeiert wird, stößt vielen Menschen sauer auf. Besonders wenn man bedenkt, wie historisch behaftet der angrenzende Heldenplatz ist. Fraglich ist, ob eine Verlegung des Balls die Proteste, die es seit 2008 regelmäßig gegen den Ball gibt, eindämmen würde. Weidinger ist skeptisch: „Als symbolischer Schritt wäre es natürlich eine wünschenswerte Entwicklung für Leute, denen es in erster Linie um das Ansehen der Republik geht.“ Doch auch wenn der Ball woanders stattfinden würde: die Ideologie, die dort gefeiert wird, bliebe dieselbe.
Erschienen am 27. Jänner 2016 auf fm4.ORF.at
und als Radiobeitrag in FM4 Connected.